Hobbyhippologie

Hobbyhippologie
(pataphysisch-anthropologische Studie zur Anatomie von Steckenpferden)

Unser Wissen – das physische, metaphysische, physiologische, polemische, nautische, mathematische, rätselhafte, technische, biographische, romantische, chemische und geburtshilfliche – und fünfzig weitere Zweiggebiete davon, haben sich in den letzten beiden Jahrhunderten und darüber hinaus allmählich zum Gipfel ihrer Vollkommenheit emporgeschraubt, sagt Laurence Sterne und weist im gleichen Atemzug darauf hin, dass noch nicht genügend Studien über die Anatomie des Steckenpferdes unternommen worden seien.
Dem kommt nun die ´Pataphysik entgegen, die von manchen ja als eine Wissenschaft des Steckenpferdes bezeichnet wird. Anatomie zerstört mit den Händen einen vollendeten Bau, um ihn im Geiste wieder aufzuführen und das Untersuchungsobjekt gleichsam nachzuerschaffen. Eine herrlichere Aufgabe kann sich der ´pataphysische Geist nicht stellen. Die Anatomie ist wohl die fesselndste und zugleich radikalste und unentbehrlichste Naturwissenschaft.

Das Steckenpferd im ursprünglichen Sinn, darf durchaus als mechanisches Artefakt bezeichnet werden, das eine  Verbindung von Körper und Geist herstellt und dem begrenzten menschlichen Körper hilft, eine Verbindung oder ein Interface zu seinem vermeintlich weitläufigen Geist zu finden, indem es ihm erlaubt, die Aktivität dieses Geistes auszuführen oder auszudrücken.

Natürlich erfüllt keines der Steckenpferde, die unter den prekären Bedingungen unseres modernen Lebens zu Tausenden auftauchen, die Anforderung, perfekt in Aufbau und Struktur beschreibbar zu sein, denn das wäre schlechthin das ideale Steckenpferd oder Superhobby.
Und mit der Zunahme der Arten und Abarten nimmt auch die Individualität zu, eben die Abweichung vom idealen Typus, der so etwas wie das kosmopolitische Ideal eines Steckenpferdes ist. Man könnte den Winkel zwischen  Schwanz und seiner Schnauze beschreiben, Anfangs- und momentanen Standpunkt erfassen, d.h. die Grade messen, und im Inneren des Steckenpferdes dann nach den wechselseitigen Winkelbeziehungen suchen.

Doch stellt sich die sehr ernste Frage, ob eine solche Vollkommenheit und Eleganz der Form, ein solches Design, das strengsten Messprinzipien entspricht, dem Zufall oder endgültigen Ursachen zu verdanken ist. Können wir in den Hobbies und Steckenpferden die Vorsehung sehen und bewundern? Darwinistische und andere Unwahrheiten über die Anatomie der Steckenpferde, die von eitlen, modernen Wissenschaftlern in Umlauf gebracht worden sind, müssen jedenfalls entschieden zurückgewiesen werden.

Tatsächlich ist das Steckenpferd der Mittler, durch den Geist, Körper und mechanisches Artefakt zusammenkommen, sich verbinden und verschmelzen, was heutzutage auch als Bionik und Cyborgismus bezeichnet wird.
Das Steckenpferd ist somit ein Werkzeug oder ein Gerät und harmonisiert sozusagen Geist, Körper und die Maschine miteinander.

 Durch lange Beschäftigung mit einem Hobby oder Steckenpferd, entsteht  viel Reibung und es kommt  vor, dass der Körper des Hobbyisten mit der Zeit ganz erfüllt von seinem Hobby -Stoff ist und er nur mehr sein Hobby pflegen will.

In der Tat scheint eines jeden Hobbytreibenden Ritt auf seinem Steckenpferd durch die Harmonisierung von Geist und Körper auch eine sexuelle Vitalität zu bewirken, da das Steckenpferd einer vibrierenden Maschine ähnelt, die das Gesäß und die Genitalien des Reiters massiert und dadurch einen Fluss elektrischer Ströme und Steckenpferd-Energien anregt, ganz gleich, ob mit den Fingern an der Briefmarke, dem zarten Führen der Nadel beim Durchstechen eines Schmetterlingskörpers oder dem neugierigen Vergleichen mit bloßem Auge der Tabellen von „Trainspottern“.
Für den sexuell eingeschränkten Hobbyisten ermöglicht das Steckenpferd eine masturbatorische Erotik, die das Fehlen einer echten sexuellen Begegnung kompensiert.

Erfahrungen mit seinem Steckenpferd oder Hobby ähneln Schmetterlingen im Bauch
oder bildhaften Träumen, gleichen dem glücklichen Gefühl, das durch Streicheln und Liebkosen hervorgerufen wird.

Die Beschäftigung mit einem Steckenpferd bringt Geist und Körper in Einklang, vermag auch die sexuelle Lebendigkeit zu steigern.

Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass Steckenpferde mit tatsächlicher Masturbation zu tun haben – oder dass Hobby-Obsessionen tatsächliche Masturbations-Obsessionen verbergen bzw. verschlüsseln. Es sei denn, Autoerotik wird zum eigentlichen Steckenpferd, wie bei pubertären Frischlingen.
 Vielmehr wird die ungenutzte Energie in eine neue Art von Seins-Zustand umgewandelt, nämlich den eines Cyborgs.
Da verliert der Körper seine dumpfe Undurchsichtigkeit und seine erbitterte Fleischigkeit, während die metaphorische Maschinerie des Steckenpferds einen Moment glühender, elektrischer, autoerotischer Einheit zwischen Körper, Seele und Maschine herbeiführt. Dieses Bild der Maschinerie in seiner ganzen ehrfurchtgebietenden Rätselhaftigkeit wird zum Medium eines fast magischen Synergismus von Körper und Seele und einer neuen Art von imaginierter Sexualität.

Der erhabenen Geist und der niedere  Körper werden miteinander versöhnt; dies geschieht mittels eines Werkzeugs bzw. eines Gerätes.

Die ´pataphysische Anthropologie bietet viele Einblicke in die Beziehung des Menschen zu seinen mechanischen Artefakten.
Eine der am weitesten akzeptierten Studien der ´pataphysischen Anthropologie ist die des Menschen als Werkzeugmacher und –benutzer, als ein werkzeugschaffendes Vieh; und dass Werkzeuge der Sprache vorausgingen, da sie dem Körper die Möglichkeit boten, den Geist auszudrücken oder zu kommunizieren: ohne Hände und die Arbeit der Hände, kann es keine Sprache geben!

Menschen benutzen sowohl materielle Werkzeuge als auch Worte als Hilfsmittel für das Denken. Werkzeuge vermitteln zwischen Mensch und Umwelt, sind also von Natur aus Instrumente, welche die körperlichen Fähigkeiten erweitern und dem Körper helfen. Interessant scheinen die Hinweise darauf, dass Werkzeuge und Maschinen in einer Weise als Verbindungsglied zwischen Geist und Körper fungieren, wie es Worte nicht können!
 Wenn Werkzeuge und Maschinen das Leben eines Menschen durchdringen, was bei Hobbyisten und ihren Steckenpferden der Fall ist, wird dieses Subjekt zu einem Cyborg, eine Mischung aus Maschine und Organismus. In der Figur des Cyborgs (vor allem im Informationszeitalter) ist der Unterschied zwischen Maschine und Organismus völlig verwischt: Geist, Körper und Werkzeug stehen in einem sehr engen Verhältnis zueinander.

Menschen und Endgeräte durchdringen heute einander stärker als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt in der Geschichte.

Bei der Beschäftigung mit einem Steckenpferd kann der Mensch seinen Geist zum Ausdruck bringen.

Die Seele eines Menschen kann sich durch das Hobby offenbaren. Man nehme nur die Foto-Kameras, die heute überall verwendet werden, um damit den inneren Charakter eines Menschen auszudrücken. So fantastisch diese Mittel auch sein mögen, macht jedoch die ´Pataphysik darauf aufmerksam, dass der Geist trotz des Körpers erfasst werden kann, auch wenn unser Geist nicht durch jene dunkle Hülle aus unkristallisiertem Fleisch und Blut scheint, wie schon der eingangs erwähnte Laurence Sterne schreibt. Der „homo digitalis“ mit seinen flüssigen Kristallen in den Screens der Endgeräte verdeutlicht eindringlich die Fusion von Mensch und Gerät.

Wenn man sich anschaut, wie zärtlich die Menschen ihre Smartphones streicheln, wie wichtig Technologie für sie geworden ist, was für ein Gefühl sie haben, wenn sie ihr Smartphone den ganzen Tag nicht finden, dann weiß man, dass eine äußere, künstliche Intelligenz die Körperhülle durchbrochen hat.  

Es gibt kein Instrument, das besser geeignet wäre, etwas aus dem tiefsten Inneren auszudrücken als das Steckenpferd, einen Charakter wiederzugeben und zu enthüllen, fensterartig für alle sichtbar zu machen, sozusagen die Kluft zwischen einem produktiven Geist und einem unproduktiven Körper zu überbrücken, sodass Körper, Geist und Gerät verschmelzen: das Hobby wird zu einem Anhängsel oder einer prothetischen Verlängerung des Menschen.  

Eine philosophische Untersuchung über die Ursprünge der Sprache besagt, dass „die ersten Menschen sich durch Gesten oder physische Objekte ausdrückten, die Arbeit der Hände half der Arbeit des Geistes: oft helfen Werkzeuge oder manipulierte Objekte dem Körper, den Geist auszudrücken. Und schließlich sind Werkzeuge ein Mittel der harmonischen Überschneidung von Körper und Geist.

Fast erwartet man, dass man dem Hobbyisten in den Kopf  hineinschauen, die Zahnräder und Federn einer Denkmaschine sehen würde, gar das Nervenzentrum, den Kommandoposten im Gehirn.
Wir konnten nur andeuten, dass ein Hobby eine eigene Art von Sexualität beinhaltet, die unabhängig von der körperlichen Kraft ist, ohne tatsächlichen körperlichen Verkehr zu vollziehen.

Ein Steckenpferd kann zwar Krankheiten nicht verhindern, doch kann es den Verfall eines Menschen aufhalten, indem es die Dualität von Körper und Geist verwischt und durcheinander bringt.

´Pataphysische Untersuchungen an der bekannten „Frau Hitt“, oberhalb von Innsbruck, haben herausgefunden, dass die Dame -nicht im Damensitz!- auf einem Steckenpferd reitend versteinert wurde. Unbestritten hat sie ihrem Sohn, der sich eine Tanne zum Steckenpferd abknicken wollte und dabei in einen sumpfigen Morast gefallen war, dieses Pferd abgenommen und ihn dann zum Waschen in ein Milchbad gesetzt, was eine höhere Instanz in versteinernden Zorn versetzte. Johann Kyselak, der erste subversive Graffitikünstler, bringt in der Beschreibung seiner Fußreise durch Österreich und Bayern etwas ganz Verschollenes zutage. Er schildert eine frühere goldene Zeit,  wo die Menschen glücklich unter einer Königin Frau Hütt lebten; die hatte einen Sohn Ol, den sie von Tyr, einem Bergriesen, empfangen haben soll. Deshalb heute heißt das Land Tyr-Ol. Und diese Urmutter schaut -versteinert auf einem Steckenpferd sitzend – in die Hauptstadt hinab!

Im Zuge der Nachforschungen über diese „Frau Hütt“ fand sich in Aufzeichnungen noch eine ganz andere Art Steckenpferd, nämlich „Clavileño, der Geschwinde“, so der Name und Spitzname, ein hölzernes Gebilde in Form eines Pferdes mit einem Joystick im Kopf, mit dem seine Bewegungen gesteuert werden und das leicht durch die Lüfte fliegen und Mädchen von Bartwuchs befreien kann. Don Quijote und Sancho schwebten auf seinem Rücken dahin. Sie ließen einfach die Zügel schießen. Sie waren sogenannte Hippolyten, das sind Helden, die die Pferde loslassen. Berühmt dafür ist vor allem der Heilige Hippolyt, seines Zeichens Namensgeber für St. Pölten, den allerdings vier Pferde auseinandergerissen haben sollen. Doch wir wollen die Pferde nicht scheu machen! Auch Steckenpferde können schrecksam sein und bei Gefahr ausbüchsen. Die ´Pataphysik sorgt sich deshalb nicht unnötig um historische Kleinigkeiten.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang allerdings noch und unbedingt festzuhalten, dass seit 31. Mai 2021 die Steckenpferd-Helmpflicht für Kinder unter 12 Jahren gilt! Das heißt, Kinder müssen beim Ausüben von Hobbies, selbst wenn sie bloß bei einem Hobby zuschauen – ob klassisches Steckenpferd oder Spielkonsole – verpflichtend einen Helm tragen, bis sie das 12. Lebensjahr vollendet haben. Für erwachsene und jugendliche Steckenpferd-Reiter und Hobbyisten empfiehlt das Bundesministerium für Bildung und Familie „dringend einen geeigneten Sturz- bzw. Schutzhelm zu tragen.“